Artinvestor Nr. 02/2002
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Rollenspiele
die Bronzen des Werner Pfändler
von Dr. Barbara Rollmann-Borretty
Es ist sicher nicht zu verwegen zu behaupten, die Bronzeplastik ist in der Bildhauerkunst so etwas wie die Luxuslimousine unter den Autos. Allgemein wird sie als würdevoll und von langer Lebensdauer angesehen. Ihr teurer Rohstoff und das aufwendige Herstellungsverfahren machen sie in unseren Augen zu einem Wertgegenstand. Nicht zuletzt ist die lange Tradition des Metalls als einer der frühesten Werkstoffe des Kulturmenschen beredtes Zeugnis für ihre Symbolik. Als würden sich all diese Faktoren in jeder neu geschaffenen Bronzeplastik widerspiegeln, nähern wir uns den Kunstwerken mit besonderem Respekt. In der Tat ist das Genre auch keine Sache des spontanen Capriccio: Meist wagen sich nur bedeutende Künstler daran, reihen sich ein in die illustre Liste der Bronzebildhauer von der Antike bis zur Moderne, von dem hellenistischen Meister der Krieger von Riace bis zu Henry Moore.
Es verdient deshalb umso mehr Beachtung, wenn ein Spätberufener wie Werner Pfändler den Bronzeguss zu seiner Kunstform wählt – und dies nicht nur testhalber, sondern über Jahre, konsequent und in erstaunlicher Produktivität. Er scheint in dem Verfahren seine maximale Ausdrucksmöglichkeit gefunden zu haben; eine frühere Phase der Malerei konnte seine Kreativität nicht in dem Maße binden. Der Besuch der Züricher Hochschule für Gestaltung in jungen Jahren führte ihn zuerst in ein ganz anderes visuelles Medium, den Bildjournalismus, doch hat er aus dieser Zeit wohl auch das Rüstzeug für eine weitere künstlerische Laufbahn reaktivieren können. Umso bemerkenswerter ist seine Wahl als Mittvierziger, den Brotberuf zuliebe der Kunst zu reduzieren. Denn die Arbeit mit der Bronzeplastik ist ja im gewissen Sinne ein kompliziertes konzeptuelles Vorgehen und verlangt dem Vorstellungsvermögen sehr viel ab: Die Formgebung erfolgt über ein Material mit ganz anderen Eigenschaften, Ton oder Gips, beim Abnehmen der Gussform und dem eigentlichen Gießen der Plastik in einem Spezialbetrieb ist der Künstler meist gar nicht dabei. Trotz der Schwierigkeitsgrade und der Ernsthaftigkeit seines Tuns hat Werner Pfändler einen sehr erfrischenden Modus im Umgang mit der Bronze. Seine Formen sind geradlinig, scheinen unbelastet von der Fama berühmter Vorgänger.
Im direkten Kontakt der Hand zur Materie läuft der kreative Prozess; vorbereitet von vielen Ideenskizzen, die jedoch die Thematik nur locker einkreisen und variieren.
In früheren Arbeiten werden in einer sehr reduzierten Sprache Geschlechterrollen artikuliert. Das Weibliche, dargestellt meist als Torso mit Brüsten, und das Männliche, repräsentiert als phallische Form, werden ergänzt von halbkreisförmigen Köpfen, deren einziges Ausdrucksmerkmal die großen leeren Augenhöhlen sind. Diese Gestaltung erinnert an die Kunst der Primitiven, doch auch an die radikale Homogenisierung der großen Bildhauer der Moderne. Die archaische Grundaussage des männlichen und des weiblichen Prinzips ist der Impetus dieser Werke – die ihnen zueigne Grundstimmung ist Freundlichkeit.
Pfändlers Spitzfindigkeit richtet sich gegen das Statische, das die meisten Metallplastiken ja naturgegeben auszeichnet. Viele seiner Figuren haben ein bewegliches Element, das sich jedoch erst auf den zweiten Blick zu erkennen gibt. So braucht es immer den Betrachter dazu, dieses Element auch zu aktivieren.
Eine der stärksten – da in ihrer Geradlinigkeit überzeugenden – Erfindungen auf diesem Sektor ist der stilisierte Kopf, der auf einem Phallus steckt. Das Glied wirkt dann wie Hals und Schultern einer Büste. Ist der Kopf jedoch abgenommen, ragt es nackt und überdimensioniert nach oben. In dieser anspielungsreichen Gegenständlichkeit verleiht es den Arbeiten durchaus eine gewisse Note, dass sie auf surreale Manier auch ihre Maßstäblichkeit wechseln.
Das Latente, eben das, was man bei den doppelgesichtigen Arbeiten nicht sofort sieht, spielt generell eine Rolle im Werk des Bildhauers. So sind auch neuere Stücke häufig mit einem Bewegungselement versehen, das man aufgrund der schwergewichtigen optischen Einschätzung von ihnen nicht vermuten würde.
Eine geometrische Sprache bildet auch hier die Ausgangsbasis: viele der Bronzen bestehen zum Teil aus einer Kugel, andere aus einem Ring, auf die ein zweiter, figurativer Teil montiert ist. Die Kugel fungiert neben ihrer formbildenden Dominanz auch als Sockel, der jedoch genauso viel Raum einnimmt wie ihr Überbau. Sie lässt sich anstoßen und drehen – ihr Gewicht verhindert das Umkippen. Bei einigen der Ring-Plastiken lässt sich hingegen die in den Kreis hineingesteckte Figur entfernen. Für den figürlichen Part erweitert der Künstler sein Repertoire um ein fragmentiertes Objet trouvé, das er auch in Bronze gießen lässt. Es handelt sich um Arme, Beine und Kopf einer Babypuppe, die als serielle bildhauerische Elemente mit den geometrischen Formen eine Verbindung eingehen. Bei späteren Arbeiten lässt er auch die geometrischen Basisformen weg. Nach dem Prinzip der Symmetrie entstehen aus den vervielfältigten Körperteilen der Puppe phantastische Geburten mit mehreren Armpaaren und Köpfen, wobei die Glieder als in den Raum weisende Ausläufer eines Zentrums angeordnet sind.
Die Figuren verselbstständigen sich völlig von ihrer ehemaligen Bedeutung als Puppe – lediglich der Verweis auf den Körper als bildhauerisches Grundvokabular tritt hier als Aussage in den Vordergrund. Es entstehen Plastiken von großer abstrakter Symbolkraft, die durch die schwarze Patinierung der Bronze noch eine visuelle Verstärkung erfahren. Manches Bild aus der globalen Mythologie lässt sich assoziieren, etwa ein Sonnenrad oder eine hinduistische Gottheit. Doch keine Darstellung nimmt direkten Bezug. Eher kommt ein humoristischer Aspekt zum Tragen, etwa wenn rundliche Puppenbeinchen auf hoher Stange einen akrobatischen Balanceakt auf einer Kugel vollführen – und man sich an die Artistik eines chinesischen Zirkus erinnert fühlt.
Der Balanceakt des Künstlers zwischen einem sehr ehrlichen Anliegen und der schalkhaften Verdrehung der Zustände macht wohl die Qualität seiner Arbeiten aus. Jede bestimmende Tendenz in die eine oder andere Richtung – die elementare Frage nach dem Sein oder die humoristische Zitierung der Auswüchse desselben, würde, genauso wie eine allzu ästhetische Form der handschmeichlerischen Bronze, den Werken etwas von ihrer Feinsinnigkeit nehmen und sie in falscher Dramatik erscheinen lassen.
Sicher bewegt sich Werner Pfändler hier in einer guten Tradition, haben doch die Nouveaux Réalistes mit ihrem Schweizer Kern um Tinguely, Luginbühl und Spoerri Wichtiges in dieser Richtung hinterlassen. Die Unbekümmertheit, mit der sie Dinge zu Kunst werden ließen und die gleichzeitige subversive Kraft ihrer berühmten Werke sind vorbildhaft. Doch Pfändler wäre kein Schweizer, hätte er nicht auch seine Quelle: des Landvogts Hut auf der Stange aus Wilhelm Tell ist ihm immer noch ein wichtiger Fingerzeig auf die Absurdität der Rituale der Obrigkeit, gegen die nur die Kunst so richtig respektlos sein darf.